Haushalt im Kreistag verabschiedet – Pflegesituation im Blick

Am 13.12. wurde in der Neckarwestheimer Gemeindehalle der Haushalt des Landkreises für 2022 durch den Kreistag verabschiedet. Alle Fraktionen und Gruppen hielten dazu Reden und konnten Anträge stellen. In den Ausschüssen werden diese Anträge vor beraten. Als LINKE hatten wir vier Anträge gestellt, welche zu Prüfanträgen gewandelt wurden. Damit haben sie die Chance im nächsten Jahr durch das Gremium weiter beraten werden.
 
Anträge/Prüfanträge: 
1. Wir wollen Schulpflegekräfte, die für gesundheitsrelevante Themen an den Schulen tätig sind.
2. Die Müllabfuhr soll von einem Eigenbetrieb organisiert werden, statt von profitorientierten Privatunternehmen.
3. IAV-Stellen zur Beratung von SeniorInnen sollen erweitert werden.
4. Investitionen in die Personalwohnungen des Plattenwalds.
 
Vollständige Anträge hier: DIE LINKE im Heilbronner Kreistag und Antrag Pilotprojekt Schulgesundheitsfachkraft
 
In der Haushaltsrede der LINKEN sprach Kreisrätin Jasmin Ellsässer über die Situation in der Pflege. Ellsässer ist Pflegekraft, studierte und studiert Pflegewissenschaften und ist Personalrätin und konnte eindringlich von den Problemen in den Krankenhäusern berichten. Sie eröffnet aber auch Perspektiven für die Lage in den SLK-Kliniken, welche in einer Klausur tiefgehender besprochen werden sollen.

 
Hier die Rede im Wortlaut:
 
Liebe Anwesende, sehr geschätzte Anwesende,
ich bin noch nicht sehr lange Mitglied des Kreistag, aber es liegen spannende Monate hinter mir, in denen ich schon sehr viel mitnehmen durfte und einen Einblick bekommen habe.
Ich erfuhr Wertschätzung und Offenheit, für die ich mich bei dieser Gelegenheit herzlich
bedanken möchte.
Wir stellen hier die kleinste parteiliche Gruppe dar und ich glaube Herr Vollert und ich sind
mittlerweile bekannt als Personen, mit denen man in den Diskurs gehen kann. Vieles
schmeckt nicht, aber Kröten müssen manchmal geschluckt werden, auch wenn Kröten nicht
auf dem eigenen Speiseplan stehen… es ist wichtig sich Themen aus vielen Perspektive zu
nähern und zu betrachten, sich gegenseitig zuzuhören und ehrlich und wertschätzend nach
gemeinsamen Lösungen zu suchen, dies ist wahrhaftig nicht immer eine einfache
Angelegenheit, aber macht, wenn man es zulässt, Wachstum möglich.
Ich bin keine Freundin von „kosmetischen“ und oberflächlichen Optimierungen, vor allem
nicht in der Politik. Es langweilt mich unglaublich immer wieder die gleichen Phrasen zu
hören, mit dem Wissen, dass diese die letzten Jahren gebetsmühlenartig Wiederholung
erfuhren. Da nehme ich uns als Linke nicht raus. Selbstkritik ist eines der wichtigsten Dinge, um überhaupt Kritik üben zu dürfen, wenn wir keine Selbstkritik üben, ist ein Diskurs von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Uns als Linke bewegen viele Themen aber ein Thema das uns in allen Bereichen
übergeordnet wichtig ist, sind soziale Fragen unserer Gesellschaft. Und mein persönlicher
Antreiber stellen Innovationen im Sozialen Bereichen dar. Als Pflegekraft komme ich an
sozialen Fragen nicht vorbei, wenn ich meinen Job mit Weitblick erfüllen möchte, wenn ich
möchte, dass sich in der Gesundheitsversorgung Themen maßgeblich verbessern können.
Frank Schulz-Nieswandt, einer meiner sehr geschätzten Professoren, veröffentlichte vor
nicht allzu langer Zeit einem wissenschaftlichen Artikel mit der Überschrift: „Wann ist eine
soziale Innovation innovativ?“ Ja, wann ist sie das denn?
Wir müssen die Möglichkeit geben zur Veränderung, aus dem Kern der Gesellschaften. Der Kern stellt die Bevölkerung dar, um sich von innen heraus entwickeln zu können, also ist es doch unsere Aufgabe, als kommunalpolitisches Gremium, die Möglichkeiten dafür zu schaffen, dass die Bevölkerung mit daran arbeiten kann, dass sich unser Zusammenleben aus dem Kern heraus neu gestalten kann. Wir müssen den Nährboden geben, damit Menschen ihre Saat ausbringen können. Dass Menschen Mut zum Wachstum und zur Veränderung haben. Ernten werden wir alle, die Gesellschaft im Ganzen, wenn wir es richtig tun. Es ist wichtig, dass der Mensch und seine individuellen Bedürfnisse und Bedarfe im Vordergrund stehen und nicht die Gewinnoptimierung. Da sehe ich auch uns als Kreisrat in einer Funktion die Raum zur Gestaltung schaffen kann.
Ich stehe hier nicht nur als Kreisrätin, die eine Haushaltsrede halten darf, nein, ich stehe hier als studierte und studierende Pflegekraft, alleinerziehende Mutter, Personalrätin, sozial engagierte Person. Wie auch jede einzelne Person von ihnen, mit ihren eigenen individuellen Lebensschwerpunkten, ihrem Engagement.
Jedes dieser Lebensbereiche ist eng verknüpft mit dem anderen, die Ausprägungen variieren mal stärker und mal schwächer. Ich möchte hier heute einen meiner Lebensbereiche, eine
Verknüpfung, deutlich hervorheben. Meine Tätigkeit als Pflegekraft, kombiniert als
Amtstägerin dieses Gremiums.
Bei der Durchsicht der Protokolle des vergangenen Jahres sind einige Themen vermehrt und immer wieder aufgetreten:
Die SLK mit verschiedenen Themen.
Das Thema Schulen (Peter Bruckmann Schule und Bethesda Schule)
Die Abfallwirtschaft und zweimal ökologische Themen bzw. Anträge
Die Häufigkeit in der die SKL thematisiert wurde, zeigt wie wichtig dieses Thema ist.
So und nun erwähne ich das leidige Thema der Pandemie. Diese Pandemie wird zu Recht
sehr häufig als Brennglas bezeichnet. An vielen Stellen, an denen es schon Defizite gab,
wurde die Situationen verschärft.
Ich möchte sie nicht langweilen in dem ich diese Themen aufzähle. Ihr seid selbst intelligent Denkende, aus Euren Perspektiven.
Ich greife mir einen zentralen jedoch defizitären Bereich unserer Gesellschaft heraus, und
welches sollte es sein, wenn nicht die Situation der Krankenhäuser, der
Gesundheitsversorgung und die Situation der Pflege in unserem Landkreis. Ich würde sogar weiter gehen: Das Thema Pflege schreit förmlich bundesweit zum Himmel. Seit Jahren. Und wenn wir in den internationalen Vergleich gehen, dann dürfen wir uns vor Scham die Hände vors Gesicht schlagen.
Wir haben Prioritäten gesetzt, die einem aus wissenschaftlicher Sicht, aber auch aus der
Sicht als Pflegekraft und von der Sicht von Patient*innen, nur die Tränen in die Augen
treiben kann.
Wir haben auch in diesem Gremium Investitionen zugestimmt, die unterm Strich nur eines
tut, Notstände verschärfen. Ich denke hier als Beispiel an die Zustimmung für
Personalagentur Lumis, der die SLK beitrat.
Für den ersten Moment war es völlig nachvollziehbar und auch nötig, dass man personelle Lücken schließen muss, vor allem mit der Pandemie im Nacken, aber ist dies die Möglichkeit für eine nachhaltige Verbesserung zu sorgen? Die Betonung liegt hier auf NACHHALTIG!
Wohl kaum!
Denn es ist nichts weiter als eine kosmetische/oberflächlich Verbesserung, Probleme greift dies nicht in den Wurzeln an, man hat hier wohl eher wieder Zahlen im Auge, um an einer Personalagentur mitzuverdienen und versäumt so innovative Veränderungen die nachhaltig wirken können.
Es werden auf Kreis- bzw. Stadtebene Diskussionen über Parkgebühren geführt bis hin zur Landes- und Bundesebene in denen über die Bemessung des Personalbedarfs in der Pflege von Rothgang diskutiert wird, welches aus fachlicher und statistischer Betrachtung einen nur den Kopf schütteln lässt. Wir diskutieren hier im Landkreis darüber, ob wir Wohnungen für Angestellte der Klinik in öffentliche Hand nehmen bzw. lassen oder diese an Investoren abgeben. Dies sind nur Beispiele und haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie wissen auch hier, dass die Liste unendlich weitergeführt werden könnte.
Es geht immer nur darum, betriebswirtschaftliche Kosten zu sparen und dies auf dem Rücken der Angestellten von Kliniken. Personal welches am Rande ihrer Kräfte steht, ausgebrannt, täglich in moralische Dilemmata getrieben. Und wenn ich von Angestellten der Kliniken spreche. Dann meine ich das Personal angefangen bei den Reinigungskräften über die Pflegekraft, Hebammen, Versorgungsdienste, bis hin zum ärztlichen Personal.
Wir riskieren, dass es (vor allem jetzt in Zeiten von Corona) zu Kündigungswellen komm, und das mit Ansage. Es war abzusehen!
Alles was getan wird, sind kosmetische und oberflächliche Anpassungen. Radikale,
innovative Erneuerungen vermisse ich seit Jahren. Und ja, ich benutze als Linke das Wort
radikal und möchte hier einen kurzen Ausflug machen, was radikal überhaupt bedeutet.
Radikal wird abgeleitet von dem lateinischen Begriff RADIX und steht für nichts anderes als „an der Wurzel greifen“, „gründlich oder von Grund auf angehen“. Und das, so habe ich es zu Beginn meiner Rede schon gesagt, das ist es was ich möchte, was wir möchten. Somit erkennt man, dass dem Wort radikal wirklich etwas Gutes inne liegt. Ja, wenn es um soziale Innovationen geht, dann bin ich radikal, radikal für eine bessere Gesundheitsversorgung der Bevölkerung, radikal für einen Verbesserung im Arbeitssetting von Angestellten in der Gesundheitsversorgung im Bereich der Versorgung von Menschen, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Denn nur wenn wir radikal sind, uns die Wurzel anschauen, können wir Lösungen finden, die wirklich helfen.
Wir schauen dem Abbau unseres Sozialstaates zu, welches uns immer wieder auf die Füße fällt. Wir müssen mutig sein für wirkliche Veränderungen und neue Wege, wir müssen mutig sein dies anzugehen.
Personalfluktuationen sind zu vermeiden, sie stellen einen unglaublichen Kostenfaktor dar, welcher sich nur schwer wieder aufarbeiten lässt. Fachpersonal nachzuqualifizieren kostet nicht nur Geld, sondern auch Jahre. Möglichkeiten hierzu gibt es. Als machbares Beispiel möchte ich erneut Magnethäuser der Gesundheitversorgung aufzeigen. Magnethäuser sind bekannt, sie zeichnen sich aus durch partizipativen und unterstützenden Führungsstil, flexible Arbeitszeiten, Karrierechancen, professionelle Autonomie und Verantwortlichkeit, hohe kontinuierliche Fortbildung und angemessene Personalausstattung. Hierarchiegefälle abbauen „Bottom up“ anstelle von „Top down“ Mitspracherecht von Mitarbeitenden und keine übergestülpten Strukturen.
 
Magnethäuser gibt es bundesweit nur wenige, haben sich jedoch durchaus bewährt, wie
genial wäre es, wenn der Raum Heilbronn einen solchen Leuchtturm der
Gesundheitsversorgung aufzeigen könnte. Pflegekräfte ziehen in Regionen, in denen solche Einrichtungen etabliert sind. Dort gibt es keinen Personalmangel.
Wir sollten unseren Blick darauf werfen, welche Auswirkungen eine gute
Gesundheitsversorgung hat, welche Auswirkungen dies auf die Personalstabiliät hat. Welche Auswirkungen dies auf angeschlossene Versorgungsstrukturen und Leistungserbringer hat und schlussendlich auf alle anderen gesellschaftlichen Bereiche.
Wie wäre es endlich ein Zeichen zu setzen, landesweit und wie gesagt möglicherweise auch bundesweit. Lassen sie uns doch bitte unsere Häuser im Landkreis so aufstellen, dass Leute hierherziehen wollen, weil sie hier in den Kliniken arbeiten wollen.
Lassen sie uns Magnethäuser entstehen lassen.
Zahlen sie Fortbildungen mit Fahrtweg und voller Übernahme aller Umkosten, schaffen sie weitere Anreize, sorgen sie für langfristig bezahlbaren Wohnraum für Klinikangestellte,
Fördern sie den ÖPNV für einen entspannten Weg zur Arbeit zu den richtigen Zeiten.
Schaffen sie Studienmöglichkeiten bzw. lassen sie uns diese in HN endlich zur Wirklichkeit werden, gemeinsam mit allen Beteiligten von Kliniken und dem Bildungscampus. Sorgen sie dafür, dass Reinigungskräfte wieder Mitglied von Stationsteams werden (ja, das war früher so, die Reinigungskraft war früher ein fester Bestandteil des Teams und trug viel zum Stationsklima bei, jede Person ist in einem Krankenhaus wichtig, jede einzelne!!)
Lassen sie uns neue Wege gehen. Es wird sich evtl. nicht sofort in Ihren Bilanzbüchern
niederschlagen, aber langfristig wird es Früchte tragen, auch finanziell. Weniger
Krankheitstage, mehr Personal, gesundes, zufriedeneres Personal. Und Menschen, die eine Behandlung erfahren, die sie mit Würde behandelt.
Verändern sie Strukturen der Arbeit, hat diese Auswirkungen auf das gesellschaftliche
miteinander. Wer Pierre Bourdieus Theorien kenn, weiß wovon ich rede und welche
Mechanismen greifen können, wenn wir es richtig tun.
Lassen sie uns eine Brille der Ökonomie aufsetzen, welche die entstehenden Kosten einer unzureichenden Gesundheitsversorgung erkennt, die eine Brille der Zukunft ist, in dem die
Bedürfnisse und Bedarfe der Menschen an erster Stelle stehen und somit langfristig
Lebensbereiche und die Lebensqualität der Bevölkerung verbessern und Kosten nachhaltig einspart. Wenn wir dies erreichen, haben Menschen die Kraft ihre Saat auszubringen und
nachhaltig diese Gesellschaft gemeinsam und sozial mitzugestalten.
Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.


2 Kommentare zu „Haushalt im Kreistag verabschiedet – Pflegesituation im Blick”

  • Jochen Buchty sagt:

    Habe schon lange nicht mehr eine so klare und überzeugende Begründung für die dringende Notwendigkeit einer radikalen Umwälzung in der Organisation unserer Gesundheitsversorgung gelesen. Die neoliberale Umstellung unserer Krankenhäuser auf Profitorientierung hat sich seit Jahren deutlich als Irrweg erwiesen.

    Es käme doch kein Mensch auf die Idee, unsere Feuerwehren in profitable Betriebe umzuwandeln, die immer voll ausgelastet sein müssten, um Gewinne zu erwirtschaften. Schon zwei gleichzeitig ausbrechende Brände führten ins Chaos.
    Aber genau diese Situation hat man bei den Krankenhäusern lange Zeit sehenden Auges hingenommen. Und jetzt mit Corona schreien die Verantwortlichen Feurio und beklatschen die völlig überarbeiteten Menschen in der Pflege, ohne auch nur einen einzigen Vorschlag für Verbesserungen umzusetzen.

    Meinen Dank an Jasmin Ellsässer, die mit ihrem Vortrag im Kreisrat DEUTLICHE ZEICHEN gesetzt hat und Wege aufzeigt, die sowohl die Lebensqualität der Bevölkerung verbessern, als auch für alle Beschäftigten in der Pflege ein gutes und gesundes Arbeiten nach den Vorschriften des Arbeits-Schutz-Gesetzes ermöglichen (gegen das bisher die Verantwortlichen täglich tausendfach verstoßen!).

    Jochen Buchty, Löwenstein

  • Lydia Riedel-Tramsek sagt:

    Ich bin froh und zufrieden, dass ich meinen Kreisratsplatz Jasmin Elsässer überlassen habe. Sie kann das, was ich mir vorstelle, viel besser begründen und formulieren. Danke Jasmin!

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